Zivilisation gegen Kultur
Bis in dieses Jahrhundert haben sich die Aborigines die typischen Merkmale der frühen Menschen bewahrt:
- das Leben in unabhängigen Kleingruppen (schätzungsweise 600 bis 700) statt Königreichen bzw. Staaten;
- eine Technik, die mit ihren Holz- und Steinwerkzeugen etc. direkt auf die Produkte der Natur zurückgriff;
- eine weitgehende Anpassung an die Natur statt ihrer Vernichtung, was wenige Spuren in ihr hinterläßt.
Hier werden nun einige Ursachen der Arroganz der weißen Kolonialherren sichtbar:
- Politische Kleingruppen ("Horden", "Sippen") ohne die sichtbaren Institutionen einer Zivilisation gelten ihnen als "wild", "barbarisch", "unmoralisch", "minderwertig"; Wesen in solch "erbärmlichen", "primitiven" Umständen werden nicht als vollwertige Menschen anerkannt, sondern als Bindeglied zwischen Tier und Mensch diskreditiert, und müssen kirchlich und militärisch missioniert werden.
- Die Technologie der "Wilden" gilt als "primitiv" (was sie im neutralen Sinne dieses Wortes ja oft auch ist); zivilisatorischer Fortschritt gilt an sich schon als Verbesserung, die Überlieferung alter Werte und Kulturtechniken als minderwertig und als Ausweis geringer geistiger Entwicklung.
- Für einen Europäer ist Landbesitz der Besitz eines nutzbaren Objektes, eines Wirtschaftsgutes. Während alteingesessene Bauernfamilien in Europa immerhin noch eine gewisse emotionale Verbundenheit mit ihrer "Scholle" empfinden, ist diese z. B. in Nordamerika völlig verloren gegangen: Areale von der Größe deutscher Bundesländer wurden dort in wenigen Jahrzehnten durch landwirtschaftliche Ausbeutung vernichtet. Gerade der (oft rücksichtslose, destruktive) "Gebrauch" des Landes aber begründet für viele Europäern erst den Anspruch auf Land: Wer es sich nicht, wie die Bibel sagt, "untertan" macht, kann es auch nicht besitzen.
Für einen Aborigine ist das Land kein "Besitz", sondern ein lebendiger Organismus, zu dem er ebenso wie die Tiere und Pflanzen gehört. Da er es vom kontrollierten Abbrennen des Buschlandes abgesehen nicht veränderte und keine Städte, Paläste und Tempel und Straßen hinterließ, kam er als Landbesitzer gar nicht erst in Betracht und wurde erst als Lästling verjagt und dann, als er sich wehrte, gejagt. Nicht einmal Verträge wurden mit den Aborigines geschlossen, brauchten also auch nicht, wie in Nordamerika, wieder gebrochen zu werden.